Eine Patientin kommt mit einem Grünen Rezept über ein Elektrolytpräparat in die Apotheke und fragt „Gibt es das auch homöopathisch?“ – „…?“ – „Dann könnte ich das nämlich bei der Krankenkasse einreichen.“
Viele Krankenkassen zahlen unter bestimmten Bedingungen als sogenannte Zusatzleistungen die Kosten für normalerweise nicht erstattungsfähige Präparate. Diese Bedingung ist meistens, dass es sich bei der Verordnung um ein homöopathisches, pflanzliches, oder anthroposophisches Präparat handeln muss. Während sich für viele Phytopharmaka, also pflanzliche Medikamente, eine tatsächliche Wirkung nachweisen lässt (die im Übrigen durch konkrete chemische Inhaltsstoffe der Pflanze ausgelöst wird), fehlt dieser Wirksamkeitsnachweis für sogenannte alternative Heilmethoden, wie die Homöopathie. Dass Krankenkassen Präparate dieser Therapieform – vor allem explizit nur oder vorrangig dieser Therapieform – finanzieren, weckt völlig falsche Vorstellungen. Nämlich dass es sich, wie auch Anhänger:innen der Homöopathie und Anthroposophie bewerben, um alternative, naturbasierte, sanft und ursächlich wirkende Mittel handelt. Aber um @derapothekeraufinsta zu zitieren:
„Homöopathie wirkt nicht natürlich, Homöopathie wirkt natürlich nicht!“
Was ist Homöopathie?
Die Grundannahme der Homöopathie ist das Ähnlichkeitsprinzip, wobei „Ähnliches mit Ähnlichem“ geheilt werden soll. Es bedeutet, dass Krankheiten mit den Mitteln behandelt werden, die bei Gesunden entsprechende Symptome hervorrufen, allerdings in stark verdünnter Konzentration.
Bis dahin hört es sich für Laien erstmal nachvollziehbar an, dass Erkrankungen auf diese Weise gewissermaßen ursächlich behandelt werden sollen. Als ich noch keine medizinischen Vorkenntnisse, und mich nicht tiefergehend mit Homöopathie beschäftigt hatte, hat die Vorstellung eines natürliches Verfahrens, bei dem die eigenen Selbstheilungskräfte aktiviert werden bei mir zunächst auch Interesse geweckt. In einer Zeit in der ein naturbewusster Lebensstil immer mehr Thema ist, klingt das in der Theorie zugegebenermaßen erstmal vielversprechend.
„Ähnliches heilt Ähnliches – „Similia similibus curentur“
So lautet der Leitsatz, geprägt durch Samuel Hahnemann, der Anfang des 19. Jahrhunderts die Homöopathie begründete.
Jedoch ist Ähnlichkeit in diesem Sinne nicht mit Ursächlichkeit gleichzusetzen. Es werden lediglich Mittel eingesetzt, die bei Gesunden die selben Symptome verursachen sollen, ohne einen kausalen Zusammenhang zur eigentlichen Erkrankung. So gilt zum Beispiel Belladonna, die Tollkirsche, in homöopathischer Dosierung als Mittel gegen fieberhafte Infekte. Der Verzehr von Tollkirschen oder deren Wirkstoff Atropin führt bei Gesunden jedoch nicht zu einem Infekt, sondern zu Vergiftungserscheinungen im vegetativen Nervensystem, wobei unter anderem Heiserkeit und Hyperthermie auftreten können.
Ebenfalls kommen unter anderem Verdünnungen von weiteren starken Pflanzengiften wie Eisenhut bei bestimmten Beschwerden zum Einsatz, ohne mit diesen in Zusammenhang zu stehen. Viele eigentlich chemische Giftstoffe wie Silbernitrat, Arsensalze, Quecksilber kommen in verschiedenen Potenzen zum Einsatz. Coffein wird in der Homöopathie gegen die Symptome angewendet, die es bei normalem Gebrauch auslöst; Unruhe, Nervosität, Schlaflosigkeit. Andersherum finden auch Wirkstoffe Verwendung, die nach dem Ähnlichkeitsprinzip gar keine „gegenteiligen“ Beschwerden auslösen. Zum Beispiel die Heilpflanze Arnika gegen Entzündungen, Prellungen, Schmerzen – wie sie äußerlich angewandt auch in herkömmlicher (allopathischer) Dosierung aufgrund ihrer Inhaltsstoffe als traditionelles pflanzliches Arzneimittel verwendet wird.
Homöopathische Verdünnungen – Potenzierung
Ausgangsstoffe für Homöopathische Zubereitungen können grundsätzlich alle Stoffe sein, die nach Arzneimittelgesetz unter den Stoffbegriff fallen. Sie können pflanzlich, tierisch, chemisch, oder Nosoden (Aus Krankheitsabsonderungen oder aus Krankheitserregern gewonnenes Material) sein.
Ist der Ausgangsstoff pflanzlich, so wird durch meist ethanolische Extraktionsverfahren, wie auch in der Phytotherapie üblich, ein definierter Pflanzenauszug gewonnen, welcher in der Homöopathie Urtinktur genannt wird. Ausgehend von der Urtinktur, oder bei festen Ausgangsstoffen dem Grundstoff, folgen dann festgelegte Verdünnungs- bzw. Verreibungsschritte, die sogenannten Potenzen.
Nach homöopathischen Regelwerken existieren D-, C-, oder LM-Potenzen.
D steht für Dezimal:
Das heißt, ein Teil der Ausgangssubstanz wird mit neun Teilen Lösungsmittel vermischt, so entsteht eine D1-Potenz. Ein Teil der D1-Potenz wird wieder mit 9 Teilen Lösungsmittel vermischt, um eine D2-Potenz zu erhalten und so weiter. Eine D6 ist demzufolge im Verhältnis 1:1000000 verdünnt.
Bei den C-Potenzen (Centimal) erfolgt die Verdünnung nach dem selben Prinzip, aber in 100er Schritten. So entspricht eine C3, genauso wie die D6, ebenfalls einer 1:1000000 Verdünnung, was heißt, es ist noch ein Millionstel Wirkstoff in der Zubereitung enthalten.
Die Abkürzung LM soll für 1:50000 stehen und hat sich durch einen Übersetzungsfehler in römischer Zahlschrift eingebürgert – L für 50 und M für 1000 – so würde man die Zahl 50000 jedoch in römischer Zahlschrift nicht ausdrücken. Sie wird ebenfalls als Q-Potenz (Quinquaginta mille) bezeichnet.
Anders als bei den D- oder C-Potenzen wird in dieser Verdünnungsreihe nicht mit einer Urtinktur oder einem Grundstoff, sondern mit einer C3, also schon mit einer 1:1000000 verdünnten Mischung, potenziert.
60 mg dieser Mischung wird in 500 Tropfen Ethanol gelöst, davon wird wiederum 1 Tropfen verwendet – und in 100 Tropfen Lösungsmittel verarbeitet. Mit dieser 1:50000 verdünnten Lösung werden anschließend 50000 Globuli besprüht und getrocknet. Für eine LM2-Potenz wird ein Streukügelchen erneut in 100 Tropfen gelöst, und 50000 Kügelchen werden damit imprägniert und so weiter.
„Aus weniger wird mehr“
Die Abnahme der Wirkstoffmenge durch die Verdünnung, wird in der Homöopathie allerdings als Steigerung der Wirkung angesehen, daher wird empfohlen, dass stark verdünnte Potenzen, wie C oder LM-Potenzen aufgrund ihrer stärkeren Wirkung nur von erfahrenen Homöopath:innen verordnet werden.
Entsprechend festgelegte Herstellungsschritte während des Verdünnungsvorgangs sollen nach Annahme Hahnemanns für eine „Dynamisierung“ des Wirkstoffes sorgen. So ist es nach Homöopathischem Regelwerk wichtig, keine Verdünnungstufe zu überspringen, für jede Stufe ein neues Gefäß bestimmter Größe zu verwenden, und bei jedem Verdünnungsschritt exakt 10, bei den LM-Potenzen 100 Mal das Gefäß von Hand gegen einen festen Untergrund zu schlagen.
Während die „materielle Form“ des Stoffes dabei abnimmt, wird dessen „Information“ auf diese Weise auf die Trägerlösung übertragen – das Ethanol-Wasser-Gemisch, in dem die Substanz verschüttelt wird, soll sich deren Wirkung „merken“. Für Hahnemann galt die 1:50000 Verdünnung daher als viel vollkommener in ihrer Wirkung als die Hundertstelpotenzen, denn die arzneiliche Information der Ursprungssubstanz hatte mehr Platz sich auf die Lösung zu verteilen, sodass diese sie besser speichern kann. Aber warum merkt sich Lösungsmittel bei millionenfacher Verdünnung und weit darüber hinaus, dann nur die gewünschte Wirkung des Arzneistoffes, nicht aber dessen Nebenwirkungen – gerade in Betracht der Tatsache, dass in der Homöopathie häufig auch starke Gifte als Grundsubstanzen eingesetzt werden?
Rechenbeispiel – Wirkstoffinhalt pro Kügelchen bei geläufiger Dosierung in Selbstmedikation:
1 Flasche a 10g eines marktführenden Herstellers enthält 1200 Kügelchen. Rundet man zur Vereinfachung grob auf 1000 ab, wiegt ein Kügelchen also ca. 0,01g.
Eine übliche Zusammensetzung lautet: „In 10g Streukügelchen sind verarbeitet: Dil. D6 0,1g„.
Wie im vorherigen Abschnitt beschrieben entspricht die D6 einer Verdünnung der Ausgangssubstanz bzw. Urtinktur von 1:1000000, was 0,0000001g Wirkstoff in 0,1 g Dilution entspricht. Ein Millionstel von der Urtinktur ist in 10g Streukügelchen, also der gesamten Zubereitung verarbeitet. Das bedeutet: 10g Globuli D6 enthalten 0,0000001g Wirkstoff
0,01g Globuli (also ein Kügelchen) enthält 0,0000000001g (10 Millardenstel) Wirkstoff
Die übliche Standarddosierung bei akuten Zuständen entspricht 5 Kügelchen, also einer Wirkstoffmenge von 0,0000000005g = 0,0000005mg = 0,0005ug
Zum Vergleich: Selbst Arzneistoffe oder Spurenelemente, die tatsächlich im µg-Bereich dosiert werden, liegen dabei im 2-3-stelligen Bereich. Zurück zur Patientin am Anfang: Elektrolyte wie Natrium, Kalium oder Chlorid gelten als Mengenelemente, die täglich empfohlene Zufuhr laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung liegt im dreistelligen Gramm-Bereich – also 100 000 000 000 mal mehr, als eine ganze Flasche D6-Kügelchen enthalten würde.
Aber wenn Homöopathika als Arzneimittel vertrieben werden, muss es ja einen belegten Nutzen geben?
Damit Arzneimittel auf dem deutschen Markt vertrieben werden dürfen, müssen nach geltendem Recht in Deutschland in der Regel Zulassungsstudien erbracht werden. In diesen müssen Wirksamkeit, Qualität und Unbedenklichkeit mittels aufwendiger klinischer Prüfungen nachgewiesen werden. Für Homöopathische Arzneimittel gilt hierfür eine Ausnahme, sie müssen lediglich bei der Behörde registriert werden, wofür solche Nachweise nicht erforderlich sind – dann dürfen allerdings auch keine Angaben zu einer therapeutischen Indikation gemacht werden. Um ein Homöopathikum ordnungsgemäß zuzulassen, gelten allerdings ebenfalls geringere Anforderungen, als für schulmedizinische Arzneimittel. Für eine Zulassung zur Behandlung leichter bis mittelschwerer Erkrankung genügt als Wirksamkeitsnachweis ausgearbeitetes „Erkenntnismaterial“ plus gegebenenfalls Literaturhinweise oder Beobachtungsstudien. Erst bei einer Anwendung bei „schweren“ oder „lebensbedrohlichen“ Erkrankungen werden klinische Prüfungen nach wissenschaftlichen Standards gefordert.
Somit gibt es für die meisten Mittel weder belegbare Wirkungsnachweise im Rahmen von Zulassungsstudien, noch konnten andere wissenschaftlichen Studien bisher eine Wirksamkeit über den Placebo- (oder Placebo-By-Proxy-) Effekt hinaus belegen.
Um die Angabe eines Anwendungsgebietes bewerben zu können, bringen viele Hersteller auch homöopathische Komplexmittel in den Verkehr. Diese unterscheiden sich nicht nur in der Anzahl der Wirkstoffe von den klassischen Einzelmitteln. Bei den Kombi-Präparaten werden oft niedrige Potenzen oder Urtinkturen von Stoffen angewendet, die nicht auf dem Ähnlichkeitsprinzip beruhen, sondern auch eine bekannte arzneiliche Wirkung haben, wie zum Beispiel Echinacea als immunstimulierendes Erkältungsmittel. Somit haben diese Medikamente teilweise eine phytotherapeutische Komponente auf der die Wirksamkeit beruht.
Wer profitiert denn davon, die Homöopathie schlecht zu machen? Doch nur die Pharmalobby?
Ohne kritisierbare wirtschaftliche Interessen(skonflikte) großer Konzerne abzustreiten – hinter dieser Annahme steht die naive Vorstellung einer „bösen“ Macht der großen industriellen Pharma-Konzerne, entgegen der „guten“ Kleinunternehmen, die im Einklang mit der Natur, verbraucherorientiert sanfte Medizin anbieten wollen.
Nur sind die Preise der homöopathischen Arzneien oft weniger sanft zum Geldbeutel, als evidenzbasierte Medikamente für das gleiche Anwendungsgebiet. Große Werbekampagnen, sprechen oft gezielt den Leidensdruck bei gerade bei älteren Menschen auftretenden „Volkskrankheiten“ an. Es erschrickt mich jedes Mal, wenn Patient:innen mit ausgeschnittenen Schnipseln oder mit allen möglichen emotional manipulativen Marketingtechniken gespickten ganzen Werbeseiten in die Apotheke kommen, und sich nach diesen Wundermitteln erkundigen. Trotz ausführlicher Beratung wecken diese Werbeversprechen oft die letzte Hoffnung, sodass freiwillig über 30€ und mehr für annähernd wirkstofffreie Fläschchen gegen Gelenkschmerzen oder Neuropathie gezahlt werden. Auch klassische Globulifläschchen sind nicht gerade „on a budget“.
Die Alternativmedizin-Branche bedient sich oft genau den gleichen Mitteln und Taktiken, die sie an der klassischen Pharma-Branche kritisieren – das Ziel der Firmen ist auch nicht Idealismus und guter Willen, sondern ebenfalls Verkaufszahlen.
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